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Aufführung des Stückes "Der Müll, die Stadt und der Tod"
NJW 1987, 1410

GG Art. 5; ZPO §91a

Es muss offen bleiben, ob der gegen die Stadtgemeinde gerichtete Anspruch auf ein Verbot der Aufführung des Theaterstücks "Der Müll, die Stadt und der Tod" von R. W. Faßbinder erfolgreich gewesen wäre, da im Zeitpunkt der Erledigung der Hauptsache ein Übergewicht der Prozeßaussichten einer der Parteien aufgrund der Glaubhaftmachungen nicht in hinreichender Weise angenommen werden kann.

OLG Frankfurt, Beschl. v. 27. 2. 1986 - 1 W 67/85

Zum Sachverhalt: Gegen die von den Städt. Bühnen der Ag. (Stadtgemeinde) zu Ende Oktober 1985 geplante Aufführung des Schauspiels "Der Müll, die Stadt und der Tod" von Rainer Werner Faßbinder wandten sich 14 Deutsche jüdischer Abstammung mit einem Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung gegen die Ag., durch welche dieser aufgegeben werden sollte, die Aufführung des Schauspiels zu unterlassen. Nachdem der Intendant noch vor der allgemein zugänglichen Premiere das Stück abgesetzt hatte, nahmen die Ast. zu 3, 4, 6 und 7 ihren Antrag zurück. Die Parteien erklärten übereinstimmend die Hauptsache für erledigt. Das LG hat die Kosten den Ast. auferlegt (LG Frankfurt, NJW 1986, 1259). Auf die sofortige Beschwerde der Ast. zu 1, 2, 5, 8-14 hat das OLG die Kosten des Verfahrens zwischen den noch am Rechtsstreit beteiligten Parteien aufgehoben.

Aus den Gründen: ...Es steht zudem für den Senat abweichend von dem LG außer Frage, daß - wre das inkriminierte Stück aufgeführt worden - die Ast. in ihrem geschützten Individualsphären hätten beeinträchtigt sein können; das ist zureichend von ihnen glaubhaft gemacht.

Die das Stück im wesentlichen prägende Gestalt ist der "Reiche Jude". Ihm ordnet der Autor eine Vielzahl von Eigenschaften zu, die in ihrer Gesamtheit das außergewöhnlich negative Bild eines Menschen zeichnen, der profitgierig seine Grundstücksgeschäfte "im Westen" einer Großstadt - die Analogie zu Frankfurt am Main ist unübersehbar - betreibt, dabei Menschlichkeit außer acht läst und sich verächtlich über Regeln zivilierten Zusammenlebens hinwegsetzt. Der Verfasser zielt so bewußt und in unverkennbarer Weise mit einer nicht indiviuell, sondern nur vom Typus her näher beschriebenen Figur auf einen eng umgrenzten Personenkreis ab, zu dem die Ast. nach ihrer Abstammung, ihrem Glauben und ihrem Lebensschicksal gehören.

Die Ag. ist gegenüber dem erhobenen Begehren passiv legitimiert gewesen. Sie hätte durchaus mittels des Anstellungsverhältnisses, in dem der für den Spielplan der Städtischen Bühenen verantwortliche Intendant Rühle zu ihr steht, die Möglichkeit gehabt, im Sinne des erhobenen Anspruchs auf ihn einzuwirken und ihre Intentionen durchzusetzen. Denn die ihm vertraglich eingeräumten Freiheiten sind nicht uferlos, und sie orientieren sich an den allgemein gültigen Schranken, die die Rechtsordnung setzt. Selbst wenn die Ag. meinen sollte, ihr seien jedwede vertraglichen Rechte gegenüber dem Intendanten genommen, was die Auswahl und Inszenierung von Bühenenstücken angehe, so wären ihr immer noch Maßnahmen öffentlichrechtlichen Ursprungs und Inhalts gegen den Intendanten unbenommen, wenn sein Verhalten die Qualität eines Störers erfülle. Die Ag. hat selbst nicht behauptet, die ihr hier zur Verfügung stehenden Mittel erwogen und auf ihre Anwendbarkeit überprüft, geschweige denn, eine Einflußnahme irgend welcher Art auch nur versucht zu haben.

Der maßgebliche Gesichtspunkt für die nach §91 a ZPO zu treffende Ermessensentscheidung hat in dem durch die Erledigungserklärungen abgebrochenen vorläufigen Verfahren nicht geklärt werden können: nämlich die Frage, ob die Ast. mit ihrem Begehren voraussichtlich erfolgreich gewesen wären oder nicht. Weder für sie noch für dei Ag. kann nach dem Streitstoff im Zeitpunkt der Erledigung der Hauptsache ein Übergewicht der jeweiligen Prozeßaussichten in zureichender Weise angenommen werden. Um hier Feststellungen treffen und Überzeugungen gewinnen zu können, wäre ein Beweisaufnahme vonnöten gewesen. Diese konnte nach erklärter Erledigung nicht mehr erfolgen; ihr Ergebnis blieb offen. Der Text des umstrittenen Stückes (wie er dem Senat als Taschenbuchausgabe des Verlags der Autoren, 1. Aufl. 1984, vorliegt, und der in der geplanten Aufführung ungekürzt und unverändert wiedergegeben werden sollte) enthält nach der Aufassung des Senats deutlich herabwürdigende und oft klischeehaft dargestellte antisemitische Tendenzen. Ihr Inhalt richtet sich gegen den Personenkreis, dem die Ast. angehören. Diese Leitgedanken werden von dem Schutzbereich des Art. 5 III 1 GG, der die Freiheit der Kunst gewährleistet, nicht mehr umfaßt. Diese grundgesetzliche Bestimmung findet ihre Grenzen am Inhalt der Verfassung. Für sie ist die Menschenwürde unantastbar. Letztere zu achten und zu schützen ist ebenso unumstößliches Verfassungsgebot wie die Unverletzlichkeit und die Und die Unveräußerlichkeit der Menschenrecht (Art. 1 I, II GG).

Dem dient insbesondere die von der Generalversammlung der UNO am 9.12.1948 angenommene Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes. Die Bundesrepublik Deutschland hat mit Gesetz vom 9.7.1954 (BGBI II, 729ff.) ihren Beitritt zu der Konvention beschlossen... Die Konvention ist damit unmittelbar geltendes Recht von verfassungsmäßigem Rang geworden. Dem durch sie geächteten Genocid wird durch Personen in dem Stück R. W. Faßbinders jedenfalls das Wort geredet, auch wenn das durch Figuren geschieht, die zwar als überzeichnete, noch ewig-gestrige und damit nicht repräsentative verstanden werden können, aber durchaus nicht so verstanden werden müssen. Welchem offenen oder versteckten Zweck sie letztlich dienen, ist unterschiedlicher Deutungen - bis hinab zu den schlimmsten - fähig.

Gegen die sonach nicht mehr von Art. 5 III 1 GG gedeckte Darbietung der in dem Werk zum Ausdruck kommenden Strömungen gegen den Personenkreis dem die Ast. zugehören, hätten diese sich im Rahmen einer nicht nuancierenden und werkgetreuen Wiedergabe unter Umständen mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen könne, weil sie schwere Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte der Ast. enthielte (BVerfG, NJW 1985, 261; BVerfGe 30, 173 = NJW 1971, 1645).

Auf der anderen Seite ergeben sich aus den von der Ag. eingereichten Zeitungskritiken über die für einen begrentzn Personenkreis erfolgte Vorstellung vom 4. 11. 1985 a priori nicht von der Hand zu weisende Anhaltspunkte dahin, daß die antisemitischen, aus dem Wortlaut ersichtlichen Tendenzen in der beabsichtigten Bühnenaufführung so stark zurückgedrängt und ausgeräumt würden, daß bei einer Darbietung die Persönlichkeitsrechte der Ast. unter Umständen nicht verletzt werden. Ungeachtet der aus dem Text des Stückes herzuleitenden bedenken mag es im Hinblick auf die vielfältigen Möglichkeiten der Interpretation und der Schwerpunktsetzung - die eine Inszenierung eröffnet - nicht ohne weiteres zu negieren sein, daß eine Aufführung in nicht zu beanstandener Weise gestaltet werden könnte. Dies ist jedoch bis zu den Erledigungserklörungen nicht in zureichendem Umfange glaubhaft gemacht. Die Stimmen der Kritiker für sich allein genügen dazu micht; es bedarf vielmehr einer eigenständigen Einschätzung.

Der Senat sieht die Tendenzen, die nach dem Wortlaut des Stückes geeignet sind, die Ast. herabzuwürdigen, nicht unbedingt vorherrschend in dem Gehaben der unverhüllt antisemitisch angelegten Figuren Hans von Gluck und Müller (des Transvestiten und Vaters der Roma B.), die beide durch den Autor - vielleicht auch mit Distanz - widerwärtig und unbelehrbar gezeichnet worden sind. Die üble und gefährliche Stoßrichtung ergibt sich vielmehr aus der Art und Weise, wie die Gestalt des "Reichen Juden" selbst angelegt ist, bei deren Darstellung antisemitische Klischees wieder aufleben könnten, wie sie durch die Nationalsozialisten geprägt worden und wie sie demjenigen bekannt sind, der diese Zeit selbst bewußt erlebt oder sich mit ihr eingehend im Rahmen der geschichtlichen Erfassung dieses Phänomens beschäftigt hat. Zwar kommt es für diesen Beschluß, der lediglich in der durch das Eilverfahren vorgegebenen summarischen Betrachtungsweise eine Kostenentscheidung zu treffen und zu begründen hat, nicht darauf an, im einzelnen und erschöpfend Belege anzuführen. Indessen läßt sich das Wesen des "Reichen Juden" - dem der Autor nicht einmal einen individualisierenden Namen zugesteht, un der als "... dicklicher, häßlicher Jude . . . einfach ein Judd" schon abqualifiziert wird - als generalisierender Negativbegriff charakterisieren. Es erscheint - was schon eingangs des Beschlusses erwähnt worden ist - im geschäftlichen wie persönlichen Bereich skrupel- und gewissenlos, dem uneingeschränkten Profitstreben verfallen und kraß materialistisch eingestellt. Er wird geprägt von Egoismus, Erbarmungslosigkeit, Gefühlskälte, sexueller Perversion und dem Unvermögen, persönliche Bindungen einzugehen. Gleichgültig gegenüber anderen; unbeeindruckt und unberührt von durch ihn verursachter Not, fremdem Elend und ebensolcher Verzweiflung nutzt er rücksichtslos und lebensverachtend jedweden Umstand, aus dem er für sich Vorteil ziehen kann.

Dabei scheut er nicht einmal davor zurück, aus dem schrecklichen Schicksal seiner Angehörigen und Glaubensgenossen während des Dritten Reiches Kapital zu schlagen. Durch deren Märtyrertum als Jude unangreifbar geworden korrumpiert er - klaten Sinnes im Schutze dieses Tabus - die Behörden und profitiert von den Gesetzen und Regelungen der Stadt, die er in eine menschenfeindliche Betonwüste verwandelt und zugleich zu Grunde richtet. In einer schlimme Assoziationen weckenden Weise wird durch das "Wanzenlied" und sodann durch den Zwerg (Zweiter Teil, 9. Szene am Ende, S. 88) eine Gedankenverbindung zwischen dem "Reichen Juden" und den Wanzen als einer Ungezieferart hergestellt, das zur Plage wird und die Stadt ächzen und zittern läßt.
Ungeachtet dieser herausgestellten Tendenzen, die die Persönlichkeitsrechtsverletzungen der Ast. nahelegen, erscheint es auch nicht völlig ausgeschlossen, daß die beabsichtigte Aufführung - die sich gegenüber der literarischen vorlage als ein verselbständigtes Kunstwerk darstellt - im Hinblick auf die durch Art. 5 III 1 GG gewärleistete Kunstgarantie nicht hätte untersagt werden können. Die in dem von der Ag. vorgelegten Konvolut maßgeblicher deutscher Zeitungen enthaltenen Besprechungen der am 4.11.1985 erfolgten Vorstellung lassen als Quintessenz erkennen, daß sie, wenn auch "vieldeutig und gefährlich" oder "unverzeihlich dämlich", doch letztlich nicht als antisemitisch zu empfinden sei. Den für die Aufführung Verantwortlichen wird zugegeben, daß sie sich aufrichtig darum bemüht hätten, Nuancen zu finden und auch nur den geringsten Anschein eines antijüdischen Affronts zu vermeiden, wobei sie das Stück in einer Atmosphäre der Trauer wie des Leides eingebettet hätten. Der Inhalt des geschriebenen Stückes werde durch die vorgenommene Inszenierung derart "verfremdet", "in den Gewichten verlagert" und "verfälscht", daß es sich um keine Uraufführung, sondern eben um "ein kleines Meisterwerk inszenatorischer Fälschung" handele. Der vom Text her auffällige antisemitische Effekt sei durch die "Besetzung und Sentimentalisierung ins Bedeutungslose heruntergespielt". Die Darbietung sei mittels "Regietricks umgestrickt", das "antisemitische Stück prosemitisch umgefärbt" worden.

Unter allen diesen Umständen wäre es - hätte die Hauptsache sich nicht durch das Absetzen der geplanten Aufführung erledigt - nach der Auffassung des Senats im Hinblick auf die Bedeutung der Sache und auf den Vorrang der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme angezeigtgewesen, daß er als das entscheidende Gericht die Inszenierung selbst in Augenschein genommen und sich auf diese Weise ein eingehendes Urteil gebildet hätte. Auch im Rahmen eines Eilverfahrens ist eine derartige Maßnahme dem Gericht nicht durch §294 II ZPO verwehrt. Denn bei entsprechender Terminsbestimmung konnte der Augenschein "sofort" im Sinne der Vorschrift eingenommen werden. Durch den Verzicht der Ag. auf die beabsichtigte Aufführung und die Erledigungserklärungen ist die hier gebotene Beweisaufnahme unzulässig geworden, ihr Ausgang nicht mehr abschätzbar. Daraus folgt, daß nach billigem Ermessen keine der Parteien die andere auf Kostenerstattung in Anspruch nehmen kann.

(Mitgeteilt von Richter am OLG Dr. Buchwaldt, Frankfurt)

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